Serie vergessene Stätten: Altrheinbad in Stockstadt
Das Stockstädter Freibad hatte mehrere Vorgänger auf dem Fluss. Die Deutsche Turngemeinde eröffnete 1927 ein 15 000 Reichsmark teures Badeschiff. Es war nur 15 Jahre in Betrieb.
Artikel im Groß Gerauer Echo vom 2.8.2022 (von Marion Menrath)
STOCKSTADT – Das beliebte Stockstädter Freibad wurde 1964 eröffnet und steuert damit langsam auf seinen 60. Geburtstag zu. Der Bau soll damals 1,25 Millionen Mark gekostet haben. Doch es hatte etliche, allerdings nicht so langlebige Vorgänger, die alle am Altrhein angesiedelt waren. Dokumente dazu hat Jörg Hartung gesammelt, der Leiter des Museums der Gemeinde Stockstadt. Ein Schild des Geo-Naturparks Bergstraße-Odenwald erinnert am Altrheinufer am Parkplatz Kühkopf an die Badeanstalten.
Das erste Flussschwimmbad wurde 1760 an der Seine in Paris eröffnet, weiß Hartung. Hamburg hatte bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts 14 solcher Badeschiffe auf öffentlichen Gewässern, die durch die Strömung frisches Wasser bekamen. Damals hatten die allermeisten Menschen kein eigenes Bad zur Verfügung.
In Stockstadt finden sich erste Hinweise auf ein Badehaus im Altrhein in einer Rechnung aus dem Jahr 1859. Der Ort ist unbekannt. Das erste öffentliche Bad im Altrhein hat Zimmermeister Michael Kabey 1869 eröffnet. Gleichzeitig wurde die Riedbahn in Betrieb genommen, sodass auch Kundschaft aus Darmstadt kam. Laut Kirchenbuch von 1874 „stellten sich an manchen Tagen gegen 100 Badegäste ein, um in des Rheins grünen Fluten Erquickung zu finden“. Ab 1879 gab es extra Badezüge auf der Riedbahn mit einer Bedarfshaltestelle am „Katzloch“ in Stockstadt.
Das Hofgut Guntershausen unterhielt ein eigenes Bad, das Freiherr Cornelius Wilhelm von Heyl zu Herrnsheim und seinen Freunden vorbehalten war. Das Badehaus am Ufer des Kühkopfs soll laut Dokumenten von 1895 7,50 Meter lang und 4,80 Meter breit gewesen sein.
Das nächste öffentliche Bad führte der Stockstädter Georg Mölbert, der dafür 1893 die Genehmigung bekam. Die Badeanstalt etwas flussabwärts an der „Gipsmühle“ soll bis etwa 1917 in Betrieb gewesen sein. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs schränkte den Betrieb drastisch ein, bis das morsche Badeschiff 1920 abgebaut wurde.
Umfangreiche Dokumente gibt es über den Nachfolger der Deutschen Turngemeinde Stockstadt. Ältere Stockstädter erinnern sich daran. Am 9. Juli 1927 wurde das teilweise über Kredite finanzierte, 15 000 Reichsmark teure neue Badeschiff eröffnet. Die Arbeiten wurden an heimische Unternehmen vergeben. Es lag etwa 50 Meter vor der Modaumündung am Ufer, vor dem heutigen Parkplatz an der Altrheinbrücke und war über einen Laufsteg zu erreichen. Auf 16 eisernen Schwimmkörpern ruhte der 26 Meter lange und 10,40 Meter breite Viereckbau aus Holz, der zur Stirnseite hin mit einem vier Meter hohen Sonnendeckteil abgeschlossen war. In ihm waren Umkleidekabinen sowie drei Räume für Bademeister- und Kasse untergebracht, schreibt Hartung.
Der Innenraum beherbergte das 120 Quadratmeter große Becken, das 20 Meter lang und sechs Meter breit war. Es war in einen sieben Meter langen Nichtschwimmer- und einen 13 Meter langen Schwimmerbereich unterteilt. Um den Rand verlief ein 52 Meter langer und 1,30 Meter breiter Badesteg. Auf einer Seite verfügte er über eine 20 Meter lange Sitzbank. „Als Extras waren zwei separate Einzelbäder eingebaut“, so Hartung. Das Sonnendeck in 3,10 Meter Höhe diente als Liegeplatz. Zur Flussseite habe es ein Sprungbrett gegeben.
Das Bad war allerdings nur 15 Jahre in Betrieb, der Unterhalt teuer. Das Fichtenholz hielt dem Wasser nicht stand. Die Einnahmen von 600 Reichsmarkt reichten nicht aus, die jährlichen Kosten zu decken. 1937 übernahm die Gemeinde die Badeanstalt samt Restschulden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war kein Geld für Reparaturen da. Anfang der 50er Jahre wurde das Badeschiff an der „Gipsmühle“ demontiert. Im Museum der Gemeinde, im Verwalterhaus des Hofguts Guntershausen auf dem Kühkopf, erinnert ein von Jörg Hartung gefertigtes Modell an die frühere Stockstädter Badeanstalt.
DIE SERIE
In einer kleinen Serie blicken wir auf verschwundene, historisch oder touristisch interessante Stätten im Südkreis Groß-Gerau. (mam)
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