Von René Granacher
HOFGUTNACHMITTAG Jörg Hartung berichtet von einem Bombenangriff der Alliierten 1943 auf Stockstadt
STOCKSTADT – Es ist ein trauriges Ereignis, dessen beim Hofgutnachmittag gedacht wurde: Vor 75 Jahren fielen Bomben auf Stockstadt, eine Bürgerin starb. Jörg Hartung erinnerte daran bei seinem Vortrag im Hofgut Guntershausen, bei dem gut 50 Zuhörer anhand von Berichten und Fotografien mehr über das Geschehen erfuhren. Bürgermeister Thomas Raschel begrüßte die Gäste und betonte, wie wichtig die Erinnerung an die Schrecken des Krieges sei.
In der Nacht vom 10. auf den 11. April 1943 trugen Bomber der Alliierten den Zweiten Weltkrieg erstmals auch nach Stockstadt. Dabei war der Ort wahrscheinlich nur zufällig Ziel: Eigentlich war die tödliche Last für Frankfurt gedacht, doch eine dichte Wolkendecke verhinderte den planmäßigen Abwurf. Stattdessen fielen die Bomben wahllos über dem Rhein-Main-Gebiet.
Gegen 1 Uhr schlug eine große Luftmine in der Mitte des Marktplatzes ein, damals noch ein Acker, und zerstörte die erst wenige Jahre alten Häuser ringsum. Weitere Detonationen gab es etwa in der Kleingasse, wo hauptsächlich Scheunen zerstört wurden. Brandbomben fielen auf den Ort und die umliegenden Felder.
Stürzten am Marktplatz durch die Wucht der Explosion die Hausmauern in sich zusammen, so wurden in benachbarten Straßen noch Dächer abgedeckt und Fenster eingedrückt. Auch alle Scheiben der nahen Kirche gingen zu Bruch, ihr Schieferdach wurde abgedeckt und die Turmuhr blieb im Moment der Detonation stehen. Hartung stellte historischen Fotos der beschädigten Gebäude späteren Aufnahmen der wieder aufgebauten Häuser gegenüber. Die Stockstädter hielten sich während des Luftangriffs in Kellerräumen und Bunkern versteckt, doch nicht allen rettete dies das Leben: In den Keller des Hauses Marktplatz 1 drang ein Bombensplitter ein und verletzte Babette Reichard, geborene Weicker, an der Halsschlagader. Die 27-jährige verblutete vor den Augen ihres Mannes und ihrer fünfjährigen Tochter.
Die Brände mehrerer Häuser konnte die kleine Feuerwehrtruppe aus älteren Männern und Jugendlichen mit ihrer kurz zuvor gekauften Motorspritze nicht eindämmen. Das Vieh wurde aus den Ställen getrieben, um es vor dem Verbrennen zu bewahren. Für die obdachlosen Bürger wurden am nächsten Tag Notunterkünfte gesucht, später gab es Geldsammlungen. Die Zeitungen schlachteten den Tod der Stockstädterin für Propagandazwecke aus: Um einen „Terrorangriff gegen die Zivilbevölkerung“ habe es sich gehandelt.
Bilder und Zeitzeugenberichte zu den Geschehnissen sind nachzulesen in der Broschüre „Die Nacht, als die Bomben kamen“, die Jörg Hartung zusammengestellt hat.