Im heutigen Kommunikationszeitalter, in dem schon jedes Schulkind über ein eigenes Handy verfügt, wird oft vergessen wie in früherer Zeit die Dorfbewohner ihre Informationen bekamen. Damals war der Gemeindediener bzw. Polizeidiener, wie er auch in den Riedgemeinden genannt wurde, der wichtigste Überbringer der neuesten Nachrichten. Dieser Polizeidiener war ein haupt- oder nebenberuflicher Beschäftigter der Gemeinde, dessen Aufgabe unter anderem die mündliche Verbreitung von amtlichen Bekanntmachungen in einer Gemeinde war. Da er eine Glocke mit sich führte um auf sich aufmerksam zu machen, wurde er auch Ausscheller genannt. Er war eine feste Institution in den Gemeinden, die als Autoritätsperson eine wichtige Funktion ausübte.
Da früher die Straßen und Gassen nicht vom Autoverkehr belastet waren, ging es dort wesentlich ruhiger zu als heute. Vorwiegend landwirtschaftliche Fuhrwerke mit Kühen und Pferden als Zugtiere oder Gänseherden prägten das Straßenbild. Meistens um die Mittagszeit, wenn die Einwohner von ihrer Feldarbeit zum Essen nach Hause kamen, begann für den Ausscheller die Arbeit. Mit der großen Ortsschelle in der Hand machte er seine festgelegte Runde durch die Gemeinde. An allen markanten Plätzen und in gewissen Abständen blieb er stehen, läutete mit seiner Glocke und verschaffte sich so Aufmerksamkeit. Da die Haustüren noch nicht so dicht waren und die Fenster keine Doppelverglasungen hatten, war seine Ankunft schon von weitem hörbar.
Nachdem die Einwohner aus ihren Häusern kamen und sich in der Nähe versammelten oder aus den Fenstern schauten, rief er mit lauter Stimme seine Bekanntmachungen. Von einem Zettel las er die Informationen vor. Die Bekanntmachungen betrafen die verschiedensten Themen, wie: Kohlelieferung, Holz- und Obstbaumversteigerung, Impftermine, Informationen über Tierseuchen, Bauangelegenheiten der Gemeinde, Mitteilung der nächsten Gemeinderatssitzung, Feuerwehrübungen, Versammlungen der einzelnen Ortsvereine, Aufruf zu Bürgerversammlungen, Bekanntgabe von Tanzveranstaltungen, oder die Fälligkeit von Gebäude- und Grundsteuern. In den Kriegsjahren wurden auf diese Art die Mobilmachung, Hilfsleistungen, Spenden und die Einquartierung von Flüchtlingen mitgeteilt.
Je nach Mentalität des Polizeidieners gab es zuweilen auch eine lustige Mitteilung, die für Heiterkeit sorgte. Die Leute fanden danach – nun mit den neuesten Nachrichten versorgt – oft noch Zeit mit der Nachbarschaft ein Schwätzchen zu halten.
Mit der Verbreitung des Radios und der Einführung der gedruckten amtlichen Bekanntmachungen in Form der jeweiligen „Ortsblättchen“ verschwand der Polizeidiener mit der Schelle gegen Mitte des letzten Jahrhunderts allmählich aus den Riedgemeinden.
Im Museum der Gemeinde Stockstadt am Rhein, im ehemaligen Verwalterhaus des Hofgutes Guntershausen, wird noch die original Schelle des Stockstädter Polizeidieners und dessen Dienstmütze aufbewahrt. Beides wird derzeit im Depot gelagert und ist daher lediglich im Rahmen von Sonderführungen zu besichtigen. Die alte Stockstädter Ortsschelle hat eine Höhe von 28 cm, eine Breite von 20 cm und wiegt stattliche 4,5 Kg. Sie gehört bereits seit 1984 zum Museumsbestand, wie Museumsleiter Jörg Hartung mitteilt.
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